Das Performance-Paradoxon

  Fabian Schaar   Lesezeit: 6 Minuten

Die Suche nach dem optimalen System kann auch nach hinten losgehen.

das performance-paradoxon

Gehört ihr zu den Linux-Nutzern, die ihren eigenen Kernel kompilieren, um noch ein bisschen Leistung aus eurer Hardware zu kitzeln? Sucht ihr ständig nach der besten Distribution, die bei euch am besten laufen könnte, am flüssigsten, am schnellsten? Achtet ihr bei eurem System auf jede Sekunde, die für das Hochfahren draufgeht? Falls ihr diese Frage mit „Ja!“ beantworten könnt, wird der folgende Artikel vielleicht ein wenig unangenehm. Wenn nicht, dann kann er eventuell einen interessanten Gedankenanstoß liefern. Die Suche nach der besten Performance, nach dem optimalen Betriebssystem und der Konfiguration über allen anderen kann nämlich zu einem Paradoxon werden.

Diese ominöse Performance, von der ich hier schreibe, ist im Grunde ein geflügeltes Wort. Klar, es gibt bestimmte Messwerte, anhand derer sich vergleichen lässt, wie performant einzelne Systeme abschneiden. Aber was dabei der Goldstandard ist, was den eigenen Vorstellungen entspricht und wo Verbesserungsbedarf bestehen könnte, lässt sich eigentlich nur schwer messen. Und doch ließt man oft von besserer Performance, zum Beispiel in den Veröffentlichungshinweisen neuer Software-Versionen, Arbeitsumgebungen oder Distributionen. Man könnte fast sagen, dass Performance zu einem gewissen Buzz-Word geworden ist, dass nur zu gern verwendet wird.

Es sind aber bei weitem nicht nur Entwickler, die sich dieses Schlagworts bedienen – oder ihm nacheifern. Auch Endanwender wirken manchmal wie besessen davon: Es gehört zu den Kernargumenten für Distributionen wie Gentoo, dass sie Nutzern die Erstellung einer idealen Installation ermöglichen. Da gehört es dann eben auch dazu, vieles selbst zu machen. Was sage ich, so viel wie nur irgend möglich. Für einige Anwender scheint das einen unglaublichen Reiz darzustellen: Da schwingt ein gewisser Do-It-Yourself-Gedanke mit, dem manche augenscheinlich nicht widerstehen können – oder wollen.

Die Suche nach der besten Performance kann zu einem persönlichen Ziel herausgehoben werden, oder auch ein Versprechen darstellen. Wie genau sich das in der Realität äußert, ist sicherlich von Fall zu Fall unterschiedlich, aber Fakt ist: Die Leistungsfähigkeit des eigenen Systems ist für manche wirklich wichtig. Bei den bisher genannten Beispielen hört es noch lange nicht auf: Manch einer verwendet auf eigentlich ziemlich leistungsfähiger Hardware bewusst extrem leichtgewichtige Software, zum Beispiel einen minimalen Fenstermanager. Klar, dass kann auch an einer persönlichen Vorliebe für den entsprechenden Arbeitsfluss einer solchen Desktopumgebung liegen – aber eben nicht nur. Manche eifern einem leistungsfähigen, minimalen System ohne „Bloat“ so sehr hinterher, dass sich für mich ganz klar die Frage stellt: Warum eigentlich?

Insbesondere aus dem englischsprachigen Raum bekomme ich vermehrt von meinungsstarken Anwendern mit, die sich über vermeintlich aufgeblasene Distributionen, grafische Oberflächen oder Anwendungsprogramme beschweren. Dann wird oft zu leichtgewichtigen Alternativen gegriffen, was ja an sich jeder persönlich entscheiden kann. Für mich wird es genau dann interessant, wenn die Suche nach der optimalen PC-Software ausartet. Dann, wenn sie paradox wird. Ich schreibe hier also nicht von denjenigen, die uralte Hardware zu neuem Leben erwecken, und dazu besser auf ein schmalbrüstiges Betriebssystem setzen wollen. Ich schreibe von denjenigen, die genau das eigentlich nicht müssten, aber es aus irgendeinem Grund doch tun. Nicht, weil die leichtgewichtige Software für sich spricht, sondern weil vermeintlicher Ballast vermieden werden soll.

Das Performance-Paradoxon tritt ein, wenn man den eigenen Rechner für Stunden außer Gefecht setzt, indem man alle Ressourcen in das Kompilieren idealer Software-Pakete steckt, nur damit sich die Bootzeit von acht auf sechs Sekunden verringert. Natürlich ist das für sich betrachtet eine Verbesserung – doch eine Frage muss eben auch erlaubt sein: Zu welchem Preis wird diese Verbesserung eigentlich erzielt? Ich würde ja auch noch mitgehen, wenn man sich einmal das optimale System zusammen schustert und dieses dann pflegt, weil es genau auf den eigenen Anwendungsfall passt. Aber das ist wohl nicht mit dem Konzept der nie enden wollenden Suche nach dem Besten zu vereinen.

Eine kurze Bootzeit rechnet sich langfristig. Aber um diesen perspektivischen Zeitgewinn einfahren zu können, muss man eben auch über Zeit an einem solchen System festhalten. Doch der Drang, noch eine bessere Konfiguration finden zu wollen, setzt im Performance-Paradoxon genau davor ein, genau bevor wirkliche Effektivität erreicht werden könnte. Es bringt nichts, ein System so lange optimieren zu wollen, bis es perfekt ist – nur um es darauf im Versuch, weitere Verbesserungen zu erreichen, wieder über den Haufen zu werfen. Genau das macht das Performance-Paradoxon paradox, widersprüchlich und unlogisch.

Manch einer ist dem Performance-Paradox mehr verfallen, als andere. Aber machen wir uns nichts vor: Wahrscheinlich haben wir uns alle bereits einmal in vergleichbaren Situationen befunden. Der Punkt ist ja auch nicht, Menschen abzusprechen, ständig auf der Suche nach dem besten Betriebssystem sein zu dürfen. Das wäre doch nur ein sinnloses Einmischen, mit dem niemandem wirklich geholfen wäre. Viele wären davon wahrscheinlich eher genervt. Für mich ist das entsprechend auch nicht der Grund, weswegen ich diesen Artikel schreibe. Ich finde nur: Wenn wir immer weiter an unserem System schrauben und dann womöglich zu einer anderen Distro wechseln, brauchen wir uns eines nicht einreden: Dass wir damit Zeit gewinnen oder Energie sparen würden.

Moderne GNU/Linux-Betriebssysteme sind in der Regel auch auf moderne Hardware abgestimmt. Für diejenigen, die alte Hardware weiter verwenden wollen, gibt es ebenfalls genug Auswahl an Projekten. Wer moderne, starke Hardware kauft und dann viel Zeit investiert, diese möglichst wenig zu nutzen, braucht sich das nicht ein- oder schön zu reden. Die eigens gestartete Performance-Suche verbraucht Zeit, die Herstellung eines neuen Computers viel Energie und auch Ressourcen. Stattdessen ist ein solcher Wettlauf mit dem eigenen System vor allem eines: Ein Hobby. Und als solches darf es paradox sein, widersprüchlich, zeitintensiv. Das zu bestreiten, bringt bei genauerer Überlegung nicht so viel. Irgendwie beruhigend ist aber: Vor uns selbst brauchen wir uns für ein Hobby auch nicht wirklich zu entschuldigen.

Bildquelle: https://pixabay.com/photos/macintosh-computer-technology-2619617/

Übrigens: Frohe Weihnachten! :)

Tags

Performance, Desktop, Gentoo, Effizienz, RAM, Leistung

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