Zum Wochenende: Frei und asozial, oder unfrei und sozial

  Ralf Hersel   Lesezeit: 6 Minuten

Über das Dilemma von Musikhören à discrétion versus schlechter Bezahlung der Künstler.

zum wochenende: frei und asozial, oder unfrei und sozial

Das ist ein Meinungsbeitrag, wie immer zum Wochenende.

Jeder liebt und hört Musik. Musik ist eine uralte kulturelle Errungenschaft, die Seelen berührt und Menschen verbindet. Ich kenne niemanden, der keine Musik hört. Die Art und Weise, wie wir Musik geniessen, hat sich über die Jahrhunderte (Jahrtausende) geändert. Nach der Entwicklung der Stimme und der Sprache kam der Gesang. Über lange Zeiten war der Gesang die einzige Art, wie man Musik wahrnehmen konnte. Später wurden Instrumente erfunden, die den Gesang mit Harmonien begleitet haben. Dann kam die Konservierung von Audio über Wachswalzen, Schellackplatten, Tonbänder, optische Medien (CD) und schliesslich die digitale Aufzeichnung. Zuerst im Privaten, danach über Dienste im Internet.

Heute dominiert der Konsum von Musik über Kanäle, die wir nicht mehr selbst bestimmen. Die schwedische Firma Spotify unter der Leitung von Daniel Ek dominiert den Musikstreaming-Markt dicht gefolgt von Tidal, Deezer, Apple Music, Qobuz, Amazon Music und YouTube Music. Die Quellen, über die wir Musik konsumieren, sind unterschiedlich. Ich versuche, verschiedene Typen zu beschreiben:

Welcher Musikkonsumenten-Typ bist du?

  • Der Streamer: Du willst den vollen Komfort. Die Vergütung der Künstler oder das Tracking interessiert dich nicht.
  • Der hinterfragende Streamer: Du willst den vollen Komfort, aber nicht um jeden Preis. Dich interessieren die Vergütungsmodelle für die Künstler. Das Tracking kümmert dich wenig, doch du hast ein unwohles Gefühl dabei.
  • Der Purist: Du wurdest in den 80/90-Jahren sozialisiert und hast das Internet von der Pike auf gelernt. Deine private Musiksammlung ist riesig. Das genügt dir. Gerne legst du wieder Vinyl-Platten auf den Teller.
  • Die Downloaderin: Du glaubst, dass das Internet dir alles geben kann. Musik saugt man. Solange dich die Plattenfirmen ausbeuten wollen, zeigst du ihnen den Stinkefinger. Zur Not hörst du Internet-Radio, greifst auf deine MP3-Sammlung zurück oder hörst Musik über YouTube.

Selbstverständlich gibt es noch etliche Zwischenstufen dieser Typen. Doch lassen wir es damit gut sein. Wie immer, komme ich nach dem Vorgeplänkel zum eigentlichen Thema. Die Preise für einen normalen Account bei den bekannten Streamingdiensten kosten (in Deutschland) in etwa gleich viel, nämlich 11 Euro/Monat (+/-). Wer eine höhere Audioqualität wünscht, landet in der Preisklasse von 16 bis 20 Euro/Monat. Dabei ist zu bedenken, dass die Streaminganbieter weitere Einnahmen durch die Vermarktung eurer Daten generieren. Wie viel beim Weiterverkauf dieser Daten (wer hört wann was und wie oft) an Drittverwerter herausspringt, kann ich nicht beziffern.

Die Vergütungsmodelle für Künstler sind unterschiedlich und kompliziert. So viel landet in den Kassen der Künstler:innen:

  • Napster: 17170 Euro pro 1 Million Streams
  • Tidal: 11375 Euro pro 1 Million Streams
  • Apple Music: 7145 Euro pro 1 Million Streams
  • Spotify: 3881 Euro pro 1 Million Streams
  • Amazon Music: 3670 Euro pro 1 Million Streams

Die angegebenen Werte habe ich aus vielen Quellen zusammengeklaubt und umgerechnet. Die Zahlen unterscheiden sich von Land zu Land erheblich. Ausserdem sind die Abrechnungsmodalitäten verschieden. Ab 2024 erhalten Künstler mit weniger als 1000 Streams pro Monat bei Spotify überhaupt kein Geld mehr. Aufgrund der unterschiedlichen Abrechnungsmodelle dienen die o. a. Zahlen nur ein Gefühl dafür geben, dass die Verdienstmöglichkeiten von Künstlern bei den Diensten stark variieren.

Allem Anschein nach reicht die Vergütung von Spotify (u. a.) für Bands, die nicht mehrere Millionen Streams für ihre Songs bekommen, nicht zum Leben. Mehr als ein kleiner Zuverdienst ist hier nicht drin. Allerdings sind Streamingdienste nicht die einzige Einnahmequelle von Künstlern. Da wären noch der Anteil von den Rundfunkgebühren, die Einnahmen durch Konzerte und Shows sowie der Verkauf von Datenträgern (CD) und Merch. Eventuell noch ein Anteil von den Datenträgerabgaben. Laut finanzen.net landen ca. 7 % des Verkaufspreises einer CD bei der Künstlerin. In der Schweiz kostet eine Audio-CD ca. 20 Franken; das sind dann 1.40 CHF für den Künstler.

Ist das unfrei und sozial, aus der Perspektive des Konsumenten?

Betrachten wir die Situation aus der Sicht des Saugers. Ich bin so ein Sauger. Meine Musiksammlung ist gross, weil ich einst alle gekauften Schallplatten und CDs gescannt und auf der NAS abgelegt habe. Die Ausgaben für einen Streamingdienst (ca. 200 Franken/Jahr) würden sich in etwa mit dem decken, was ich früher für CDs ausgegeben habe. Da ich Musik gerne "besitzen" möchte, statt nur ein begrenztes Nutzungsrecht daran zu erwerben, konnte ich mich bisher nicht mit den Streamingdiensten anfreunden. Dabei spielt auch das Tracking und Profiling eine grosse Rolle; es geht niemanden etwas an, welche Musik ich höre. Ausserdem möchte ich nicht, dass meine Playlisten verschwinden, falls der Streamingdienst seinen Laden schliesst.

Um meinen Musikbedarf zu decken, komme ich meistens mit Internetradio-Sendern zurecht. Welche Abgaben diese Sender an die Künstler entrichten, weiss ich nicht. Ich nehme an, es wird auch über die Rundfunkgebühren abgewickelt. Falls ich ein bestimmtes Stück hören möchte, bediene ich mich aus meiner Konserve oder sauge den Titel über youtube-dl (yt-dlp). Oft geschieht dies zum einmaligen Hören, manchmal landet der Song in meiner Musiksammlung. Mehrmals im Jahr besuche ich Live-Konzerte von Bands.

Ist das frei und asozial?

Wie ihr seht, ist für mich die Frage nach einem freien und sozialen Konsum von Musik wichtig. Die endgültige Antwort habe ich bisher nicht gefunden. Mir fehlen Angebote, die sowohl den Zugriff auf alle Musik erlauben, als auch eine faire Bezahlung der Künstlerinnen und Künstlern gewährleisten.

Quellen:

https://praxistipps.chip.de/spotify-so-viel-geld-bekommen-musiker-pro-stream_107590

https://www.kuechenfibel.de/faq/welche-streaming-zahlt-am-besten

https://de.statista.com/themen/5366/musikstreaming/#topicOverview

https://www.finanzen.net/nachricht/geld-karriere-lifestyle/musiker-gehalt-so-viel-geld-verdienen-musiker-mit-cds-und-musikstreaming-8950409

Tags

Musik, Streaming, Spotify, Deezer, Tindal, sozial

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