Zum Wochenende: Du wirst GNU/Linux nie mehr so erleben wie früher!

  Fabian Schaar   Lesezeit: 6 Minuten

Auch von freier Software bilden wir uns einen Eindruck - und der bleibt im Kopf.

zum wochenende: du wirst gnu/linux nie mehr so erleben wie früher!

Als ich angefangen habe, freie Software zu nutzen, war das für mich unfassbar spannend. Die vielen freien Anwendungen, die vielen verschiedenen GNU/Linux-Distributionen: Für mich war alles neu, alles besonders, alles anders als das schnöde Windows, was ich bis dahin kannte. Schon die verschiedenen Themes, die meine Einstiegsdistribution Linux Mint geboten hat, fand ich wirklich faszinierend. Denn als vormaliger Windows-Nutzer hatte ich bis zu meinem Wechsel zum freien Betriebssystem gar nicht daran gedacht, dass ich das Aussehen meines Betriebssystems stärker als nur durch ein anderes Hintergrundbild verändern könnte. Anders ausgedrückt: Bis ich angefangen habe freier Software auf dem Desktop zu nutzen, habe ich nicht weiter hinterfragt, was da eigentlich so auf dem Bildschirm erschienen ist.

Für mich war die Vielfalt, die mir freie Software geboten hat, einfach überwältigend. Ich habe eine solche bis dahin nicht wirklich gekannt. Die umfassende Kontrolle, die ich so über meinen digitalen Alltag erlangen konnte, war für mich etwas ganz anderes und wirklich toll. So stieg ganz nebenbei auch mein Interesse an Software und Computern allgemein; ich habe mich viel mehr dafür interessiert, was ich da eigentlich nutze, sobald der Rechner einmal hochgefahren ist. Dieses neu geweckte Interesse ist bei mir über die Zeit zu einem Hobby geworden, dass ich mittlerweile auch hier bei GNU/Linux.ch ausüben kann.

Und wie das mit Hobbys eben so ist, wenn man sie einmal gefunden hat: Irgendwann konnte ich gar nicht mehr genug davon bekommen. Alle möglichen Distributionen musste ich ausprobieren; ich bin zum Distrohopper geworden und habe das System auf meinem Laptop sehr regelmäßig ausgewechselt. Ich habe mir auch die vielen verschiedenen Anwendungen angesehen, die für GNU/Linux-Systeme zur Verfügung stehen - einfach, weil sie mich interessiert haben. Gefühlt nahmen die interessanten Projekte gar kein Ende, immer wieder gab es etwas neues zu sehen, zu entdecken, auszuprobieren. Schier unendlich schienen mir irgendwann die Möglichkeiten, die freie Software zu bieten hat.

Mittlerweile habe ich zeitlich bedingt nicht mehr die Möglichkeit, mein Produktivsystem ständig zu wechseln. Ich teste auch weniger Software-Projekte, weil ich schon sehr praktische Programme gefunden habe. Ich bin sozusagen sesshaft geworden, wenn man das so formulieren möchte. Und wenn ich so über diesen Umstand nachdenke, stellt sich mir ganz unweigerlich auch eine andere Frage: Ist dieses Gefühl der unendlichen Möglichkeiten eigentlich immer noch da? Bleiben wir doch beim Beispiel der GNU/Linux-Distributionen: Ich habe schlicht den Eindruck, von keiner Distribution mehr so wirklich überrascht werden zu können - einfach weil ich so viele von ihnen bereits ausprobiert habe. Ein solches Beispiel mag vielleicht banal klingen, aber es zeigt eben doch: So, wie man bestimmte Erlebnisse einmal gemacht hat, kehren sie womöglich nie wieder.

Nun könnte ich natürlich boshaft werden und schreiben, dass die Entwicklung freier Software-Projekte früher schlicht viel spannender war, dass sie heutzutage eingeschlafen wäre und inspirationslos geworden sei. Aber ist das nicht ein bisschen zu kurz gegriffen? Muss ich nicht vielmehr einsehen, dass solche Schlüsse ganz grundlegend auf meinen eigenen Erfahrungen beruhen? Als ich angefangen habe, mich mit freier Software zu beschäftigen, sah ich mich innerhalb weniger Wochen den Ergebnissen einer jahre-, nein jahrzehntelangen Entwicklung ausgesetzt. Einer Entwicklung, über die hinweg freie Software auf dem Desktop immer annehmlicher, spaßiger, einfacher und erlebbarer geworden ist. Die Erkenntnis aber, dass diese Entwicklung sehr inkrementell über einen langen Zeitraum hinweg von statten gegangen ist, die ist mir erst später in den Sinn gekommen.

Vielleicht klingt diese Argumentation für manche ein bisschen verkopft und weit hergeholt. Wo ist denn nun der Punkt dahinter? Eine solche Frage kann ich im Grunde niemandem verübeln. Aber ich frage mich doch, wie sich solche Eindrücke einstellen können, wie es dazu kommen kann, dass sich die Gemeinschaft rund um freie Software manchmal ein bisschen träger anfühlt, als das womöglich vor wenigen Jahren der Fall war. Um es einmal präziser zu formulieren: So, wie du freie Software zuerst erlebt hast, wirst du das womöglich nie wieder können. Ob das der Grund ist, weswegen noch heute viele “alte Hasen” nostalgisch sind gegenüber der Zeit, als KDE 3.5 und Gnome 2 aktuell waren? Ich weiß es nicht. Aber vielleicht werden wir ja in zehn, fünfzehn Jahren alle davon schwärmen, dass es doch nichts besseres als Gnome 3 und KDE Plasma 5 geben würde. Auch wenn Software und IT rational funktionieren: Wir Menschen können damit eben doch etwas verbinden, was sich schlecht mit Nullen und Einsen ausdrücken lässt. Ganz persönliche Erfahrungen nämlich - und die lassen sich eben nicht immer so gut beschreiben, bleiben manchmal ein Gefühl.

Müssen wir jetzt alle den Kopf hängen lassen, uns selbst einreden, dass wir ja schon alles gesehen haben und keine Entwicklung in der Open-Source-Gemeinschaft mehr spannend sein kann? Nein, ich glaube nicht. Einerseits gibt es immer Möglichkeiten, sich tiefgehender mit Themen auseinanderzusetzen. Manchmal kann so ein Gefühl von Kenntnis doch ziemlich täuschen, zumindest geht es mir hin und wieder so.

Und auch, wenn wir schon einmal Erfahrungen mit vielen unterschiedlichen Programmen gemacht, viele Distributionen bereits genutzt haben: Die Entwicklung des Linux-Desktops bleibt nicht stehen. Früher waren Compiz und alle Möglichkeiten Anpassung des eigenen Desktops in Mode, heute reden wir über Flatpaks und immutable Distributionen: Die Themen mögen sich ändern, aber die Gemeinschaft und die Faszination dahinter können durchaus bleiben. Schlussendlich bleibt nur die Frage, ob man sich auch darauf einlassen möchte - oder doch lieber in den Erinnerungen schwelgt, die man vielleicht vor ein paar Jahren gesammelt hat.

Beitragsbild: ravas51, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

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Linux, Desktop, Community, Wahrnehmung, GNU, FOSS, FLOSS

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